Handwerk bewahren: Warum wir auf Bio-Zertifikat verzichten

Traditionelles Imker Handwerk

Als ich mit Anfang 30 das Imkern bei meinem Imkerpaten Ingo lernte, stand ich in seinem Bienenstand zwischen den Segeberger Kunststoffbeuten und war fasziniert. Diese robusten, meist grau oder braun gestrichenen Kästen waren für ihn mehr als nur Behausungen für seine Bienen – sie waren bewährte Werkzeuge einer modernen, aber dennoch traditionellen Imkerei. Heute, einige Jahre später, stehe ich selbst zwischen meinen Bienenvölkern in Buchhorst bei Lauenburg und bin überzeugt: Echter Honig braucht kein Siegel, sondern Handwerk, Transparenz und regionale Verwurzelung.

Die unbequeme Wahrheit über Bio-Imkerei

Wenn Kunden mich fragen, warum mein Honig kein Bio-Siegel trägt, antworte ich ehrlich: Weil ich meinen Bienen zuliebe darauf verzichte. Diese Aussage mag zunächst paradox klingen, doch die Realität der Bio-Zertifizierung in der Imkerei ist komplexer, als viele vermuten.

Das strengste Bio-Label in Deutschland, Demeter, verlangt beispielsweise, dass sich Bienenvölker ausschließlich über den natürlichen Schwarmtrieb vermehren dürfen. Was romantisch und naturverbunden klingt, bedeutet in der Praxis: Ein abgeschwärmtes Volk bringt kaum noch Honig. Die Hälfte bis zwei Drittel der Arbeitsbienen verlassen mit der alten Königin den Stock. Das zurückbleibende Volk muss sich erst wieder aufbauen – die Honigernte fällt minimal aus.

Noch problematischer: Wilde Schwärme haben in unserer heutigen Kulturlandschaft eine Überlebensrate von maximal 25% nach einem Jahr. Ist es wirklich im Sinne des Tierwohls, Bienen zu einem Verhalten zu zwingen, das in der modernen Umwelt meist ihren Tod bedeutet? Man kann Schwärme zwar einfangen, aber das ist für einen Nebenerwerbsimker kaum praktikabel, denn er müsste in der Schwarmzeit den ganzen Tag bei den Bienen sein.

Des Weiteren bedeutet diese Praxis, dass die so zertifizierten Betriebe meist eine sehr hohe Anzahl von Bienenvölkern halten um ausreichend Honig zu produzieren. Da bleibt ein Einzelvolk, dem es gerade nicht so gut geht eher mal auf der Strecke, weil es unwirtschaftlich wäre, dieses zeitintensiv aufzupäppeln.

Kunststoff für's Tierwohl: Die Segeberger Beute

Meine Bienen leben in Segeberger Kunststoffbeuten – und genau das disqualifiziert mich für jedes Bio-Zertifikat. Alle Bio-Labels verlangen „natürliche Materialien“ wie Holz, Stroh oder Lehm. Doch was ist wirklich besser für die Bienen?

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Kunststoffbeuten isolieren fünfmal besser als Holzbeuten. Im Winter bedeutet das weniger Energieverbrauch für die Bienen, um die Stocktemperatur zu halten. Weniger Energie heißt weniger Futterverbrauch, weniger Stress, bessere Überwinterung. Studien zeigen bis zu 35% höhere Honigerträge und deutlich bessere Überlebensraten in gut isolierten Beuten.

Die Segeberger Beute wurde seit den 1970er Jahren an der Imkerschule Bad Segeberg entwickelt und hat sich über Generationen bewährt. Wenn ich das Buch „So imkern wir in der Segeberger Kunststoff-Magazinbeute“ lese, werde ich in meiner Annahme bestätigt. Hier erzählt ein Imkerpaar aus Schleswig-Holstein, wie sie Ihren Betrieb führen – ein sehr inspirierendes Buch. Das ist für mich Tradition – nicht die Rückkehr zu mittelalterlichen Strohkörben, sondern die Weitergabe bewährter Methoden von Generation zu Generation.

Klasse statt Masse: Unser Weg der traditionellen Imkerei

In meiner Imkerei in Witzeeze bei Büchen schenke ich jedem einzelnen Bienenvolk meine volle Aufmerksamkeit. Die Völker stehen auf einem Bauernhof in Buchhorst, umgeben von den Buchhorster Bergen, Lindenalleen, den Auwiesen an Elbe und Elbe-Lübeck-Kanal sowie Rapsfeldern. Jedes Volk hat seine eigene Persönlichkeit, seine Stärken und Schwächen, die ich kenne und respektiere.

Statt auf Masse setze ich auf kontrollierte Vermehrung durch Ablegerbildung. So kann ich:

  • Starke, vitale Völker nachziehen
  • Krankheiten vorbeugen
  • Den optimalen Zeitpunkt für die Vermehrung wählen
  • Jedem Jungvolk die beste Startchance geben

Diese Art der Bestandsführung ermöglicht mir Honigerträge, die ich mit meinen Kunden teilen kann – echter regionaler Honig, der nicht um die halbe Welt transportiert werden muss.

Regional schlägt Bio: Die CO2-Bilanz spricht Bände

Hier ein Gedankenspiel: Was ist nachhaltiger – Bio-Honig aus Südamerika oder traditioneller Honig aus Buchhorst? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn man die Transportwege betrachtet. Lokaler Honig hat eine fünf- bis sechsfach geringere CO2-Bilanz als importierte Ware.

Doch regionale Imkerei bietet noch mehr:

  • Bestäubungsleistung für die heimische Flora – jedes Bienenvolk bestäubt Millionen von Blüten in einem Radius von etwa drei Kilometern
  • Unterstützung der lokalen Landwirtschaft – ohne Bienen keine Äpfel, Birnen oder Raps
  • Anpassung an regionale Gegebenheiten – meine Bienen kennen unser Klima, unsere Pflanzen, unsere Jahreszeiten

 

Für Allergiker kann regionaler Honig sogar therapeutische Wirkung haben. Studien zeigen, dass der regelmäßige Verzehr von Honig aus der eigenen Region allergische Reaktionen auf lokale Pollen lindern kann.

Transparenz statt Zertifikat: Der direkte Weg

„Kommen Sie vorbei, schauen Sie sich meine Imkerei an!“ – Das ist meine Art der Qualitätssicherung. Kunden können bei mir nicht nur Honig kaufen, sondern – nach vorheriger Anmeldung – auch sehen, wie er entsteht. Diese Transparenz schafft Vertrauen, das kein Zertifikat ersetzen kann.

Wenn ich zu Hause bin, zwischen Hauptjob, Bienen und den drei Hunden, nehme ich mir gerne Zeit für ein Gespräch über die Imkerei. Ich erkläre, warum der Frühtrachthonig anders schmeckt als die Sommertracht, warum manche Jahre ertragreicher sind als andere, und ja, auch warum ich mich gegen Bio-Zertifizierung entschieden habe.

Bald wird es zusätzlich einen Online-Shop geben – Tradition im Handwerk trifft auf Moderne im Vertrieb. So kann ich Menschen erreichen, die nicht persönlich vorbeikommen können, ohne die persönliche Note zu verlieren.

Die wahre Kunst der Imkerei

Gute Imkerei bedeutet für mich:

  • Aufmerksame Beobachtung – Jede Durchsicht lehrt mich etwas Neues
  • Respekt vor dem Bien – Das Bienenvolk als Superorganismus verstehen
  • Anpassung statt Dogma – Was den Bienen guttut, ist richtig
  • Qualität vor Quantität – Lieber weniger Honig von gesunden, vitalen Völkern
  • Weitergabe von Wissen – So wie Ingo es mir beigebracht hat

 

Die Standards des Deutschen Imkerbundes, nach denen ich arbeite, sind in vielen Punkten strenger als EU-Bio-Vorschriften. Niedriger Wassergehalt, hohe Enzymaktivität, regelmäßige Laboruntersuchungen – das sind messbare Qualitätskriterien, die über ein Siegel hinausgehen. Auch wenn ich kein Mitglied im Imkerbund bin (dazu an anderer Stelle mehr), orientiere ich mich doch stark an seinen Standards.

Ein Plädoyer für authentische Imkerei

Nach Jahren der Praxis bin ich überzeugt: Die beste Imkerei ist die, bei der es den Bienen gut geht. Nicht Zertifikate oder Ideologien sollten unsere Arbeit bestimmen, sondern das Wohl der Tiere und die Qualität des Produkts.

Meine Segeberger Beuten mögen aus Kunststoff sein, aber sie bieten meinen Bienen optimale Lebensbedingungen. Meine Völkervermehrung mag nicht dem Demeter-Ideal entsprechen, aber sie sichert starke, gesunde Völker. Mein Honig trägt kein Bio-Siegel, aber er ist zu 100% aus Buchhorst, nachvollziehbar und transparent produziert.

Traditionelle Imkerei bedeutet für mich nicht, in der Vergangenheit zu leben, sondern bewährtes Wissen mit modernen Erkenntnissen zu verbinden. Es bedeutet, jeden Tag dazuzulernen, auf die Bienen zu hören und das weiterzugeben, was funktioniert.

Wenn Sie das nächste Mal Honig kaufen, fragen Sie nicht nur nach dem Siegel. Fragen Sie nach dem Imker, nach seinen Bienen, nach seiner Philosophie. Besuchen Sie regionale Imkereien, schmecken Sie den Unterschied zwischen Frühjahrs- und Sommertracht, lernen Sie die Menschen kennen, die hinter dem Produkt stehen.

Denn echter Honig entsteht nicht durch Zertifikate, sondern durch Handwerk, Hingabe und die tiefe Verbundenheit zwischen Imker, Bienen und Region.